“Born to lose“
sang schon Johnny Cash mit derselben Inbrunst wie später Motörhead und die Toten Hosen. Ob man es den Jungs nun abnimmt oder nicht statistisch betrachtet ist das Verlieren viel wahrscheinlicher als der große Erfolg. Eine 1:1-Chance hat man nur beim Knobeln oder Fußball spielen. Wenn es um einen Hit geht oder um einen Job, stehen die Chancen schon viel schlechter. Dabei wird uns von allen Seiten eingehämmert, dass wir alles erreichen können, wenn wir uns nur genügend anstrengen. Lebe deinen Traum! Alles ist möglich! Schön wär’s.
In früheren Zeiten
hätten die Leute das für völlig absurd gehalten. Reines Wunschdenken. Nicht, dass alle mit ihrem Los zufrieden gewesen wären. Aber es war gottgegeben und entsprach der natürlichen Ordnung, dass nur die wenigsten die Chance hatten große Fabrikanten, Generäle oder erfolgreiche Künstler zu werden. Kein Grund, sich deswegen als Verlierer zu fühlen. Bis dann im 20. Jahrhundert der neue Mythos von der Chancengleichheit aufkam. Und damit ganz neue Hoffnungen und Enttäuschungen. Klar, wenn wir es selbst in der Hand haben, unseren Traum zu leben, sind wir auch selbst schuld, wenn nichts daraus wird. Wir haben versagt. Zu hoch gegriffen. Dabei ist es gar nicht so, dass alle Träume in den Superstar-Himmel wachsen. Viele träumen schlicht und einfach von einer Familie. Oder von einer festen Stelle. Oder davon, die eigene kleine Bäckerei zu retten, die unter dem Konkurrenzdruck der Backfabriken pleite zu gehen droht. Man muss ja nur wollen. Die Ärmel hochkrempeln, Initiative zeigen, durchhalten.
Was der Mythos verschweigt:
dass man trotzdem scheitern kann. Die Folge: Selbstzweifel, Scham, Versagensgefühle. Obwohl das Scheitern, anders als die „Alles ist möglich“-Propheten uns predigen, nicht die Ausnahme ist, sondern die Regel. Ob es nun der Traumberuf ist, der sich unserem Zugriff entzieht, das Liebesglück oder das Idealgewicht. Auch die Kinder entwickeln sich in den seltensten Fällen wie erhofft, und selbst der Hund, den man nach bestem Gewissen und den neuesten Erkenntnissen der Verhaltensforschung erzieht, macht, was er will. Weil er eben ein lebendiges Wesen ist, kein Automat, den man nur richtig programmieren muss. Das funktioniert ja nicht einmal bei Computern. Wie also in drei Teufels Namen kommen wir darauf zu glauben, dass unsere Träume programmierbar wären?
Jedes Fußballspiel zeigt doch,
dass man alles versuchen und trotzdem scheitern kann. Weil andere ebenso viel Talent haben, manchmal auch die besseren Beziehungen oder das entscheidende Quäntchen Glück. Im Wald wachsen große Bäume auf Kosten kleiner Bäume, und das ist nicht ihr Verdienst, sondern eine Frage des Standorts. Aber wie findet man sich damit ab, eine windschiefe Zwergkiefer zu sein? Fragen wir mal andersrum: Was ist denn, wenn man das Traumziel erreicht hat? Man köpft eine Flasche Schampus, spritzt wild damit herum – und dann? Sitzt man am Pool, freut sich über den Erfolg und ist restlos glücklich? Wie lange? Na, sehen Sie.
Es gibt ein bemerkenswertes Buch
von Wolf Schneider über „Große Verlierer“, die dennoch Geschichte geschrieben haben. Che Guevara zum Beispiel. Oder Gorbatschow. Beide ließen es wahrlich nicht an Herzblut fehlen, trotzdem sind sie grandios gescheitert. Wenn das kein Trost ist. Na gut, unsereinem fehlt vielleicht das Grandiose. Aber nicht das Herzblut! Auch Johnny Cash, der mehr als einmal im Leben gründlich abgestürzt ist, lehrt uns einiges über die Kunst des Scheiterns: Steh auf, klopf den Staub ab. Lass die Verbissenheit fahren und die Selbstvorwürfe. Bewahre dir die Freude am Tun. Und lächle. Denn das ist es, meint wiederum Wolf Schneider, was uns Verlierer sympathisch macht: Verlierer lächeln, Sieger grinsen.
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